Im Rahmen eines Upcycling-Projektes wollte ich gern übrig gebliebene Creme-Döschen und fast verbrauchte Lippenstift- und Lippenbalsamhüllen neu mit selbstgemachtem Lippenbalsam befüllen. Das Material hatte ich aufgrund anderer Projekte soweit zusammen, jedoch fehlte es mir ein wenig an Farbe, da meine aufgebrauchte Uralt-Kosmetik nicht das hergab, was man sich so als Schimmer auf die Lippen täte. Also kaufte ich gerade noch in der Drogerie, die ich übrigens französisch auszusprechen pflege, 2 hübsche, sehr günstige und kräftige shiny-Lippenstifte, die dem ganzen Lippenbalsam einen Hauch von Farbe geben sollten. Ich bin kein Freund von sehr kräftigen Farben. Die sehen immer irgendwie doof an mir aus. Farbe ja, aber nicht zu doll – einfach ein wenig betonen, nicht akzentuieren bitte! Nicht, dass ich um Himmelswillen anders als sonst aussehe!!!
Tja, die Neugier ist der Katze tot. Da mein Liebster gerade nicht zum Lachen zuhause war, habe ich mir diese beiden tollen Farben mal aufgetragen. Testweise. „Oh…“, dachte ich, „das schmiert sich aber gut!“ Der erste Lippenstift sah schon so verflucht schön aus, dass ich mich irgendwie gefreut habe. Leider toppte der 2. das Ergebnis mit einem kräftigen Rot – eigentlich gar nicht mein Ding! Nun stand ich vor dem Badezimmerspiegel, machte Selfies mit wulstigen, roten Liebeslippen und verschickte diese an eine Freundin, wie es sich als pubertierende Mitdreißigerin eben gehört!!!! Man teilt sein Glück!
Fröhlich entschlossen, mit rotem Lippenstift, in meinen Schlumperklamotten und ansonsten ungeschminkt, stolzierte ich durch die Wohnung und dachte: So… mit diesem knallroten Mund isst Du jetzt ne Pizza und trinkst Dein Bier und lümmelst dich so gar nicht artgerecht vor den Fernseher! Sexy nur für dich, das kleine rosa Dinkelkissen-Einhorn und die Wand! Ich gucke fast nie TV. Ist mir einfach zu langweilig und geistig auf dem Niveau von… Lippenbalsam. Achja, Lippenbalsam sollte es werden. So stand ich über diesem vorbereiteten Schälchen und grübelte: „Alles drin, bis auf Farbe.“ Da klingelte es an der Tür.
Ich geriet ein wenig in Panik. Der Pizzabote konnte es nicht sein, die Pizza kam heute ja aus dem Ofen. Ich machte das Licht im Flur aus, damit keiner die Wollmäuse auf dem Boden sah und öffnete: Meiner Nachbarin. Sie hielt mir eine Flasche Sekt entgegen, strahlte mich an und bedankte sich für etwas, was ich gar nicht getan habe. Und weil ich so ehrlich bin, habe ich es direkt gebeichtet. Und auch gleich, dass ich nicht immer so aussehe! Ich fühlte mich seltsam. Entblößt. Dramatisch ans Licht gezerrt!
Sie sah mich irritiert an, während ich Ihr widersinnigen Schrunz zu erklären versuchte. Dann lächelte sie und sagte, dass die Farbe toll aussähe. Und ob ich im Mai nicht noch mal die Mülltonnen für Sie rausstellen könne.
Ein bisschen kichern musste ich ja schon. Manchmal machen wir uns Gedanken um Sachen, die niemandem auffallen. Die meisten Menschen gucken einem nicht mal ins Gesicht, und nur die wenigsten würden sagen: „Du siehst aber doof aus heute. Mach dir das mal ab!“
Nun – so circa eine Pizza später – habe ich beschlossen, dass der selfmade-Lippenbalsam warten kann.. immerhin ist die Farbe noch frisch!